Tiefes Entsetzen...In den letzten Tagen ist viel passiert. Entscheidungen und Dinge haben sich überschlagen und ein paar Tage später ist bereits alles vorbei...
Aber der Reihe nach. In Punta Arenas habe ich mich mit JD und Alice getroffen. Wir sind uns einige Tage vorher schonmal in Puerto Natales über den Weg gelaufen und wollten eigentlich ein paar Tage gemeinsam reisen. Da sich die Situation aber immer mehr zuspitzte, z.B. Ausgangssperren, immer mehr Militärpräsenz, haben wir überlegt wie es weitergehen soll. Dazu kamen Berichte aus Argentinien, wo die Overlander bereits von der Polizei abgefangen werden und in Zwangsquarantäne gesteckt werden. Und hier sagt die Polizei nicht "Bittebitte"... Die im letzten Blog angesprochenen Varianten wurden wild diskutiert und abgewogen. Den finalen Anstoß gab mein Spediteur. Auf Anfrage konnte er mir innerhalb weniger Stunden den Rücktransport des Toyotas von Punta Arenas nach Hamburg garantieren und organisieren. Dann ging alles sehr schnell. Nach Anweisungen des Spediteurs habe ich den Wagen und die nötigen Papiere und Vollmachten vorbereitet und die notwendigen Kontakte aufgenommen. Im Hintergund hat meine Familie fieberhaft nach Flügen gesucht und gebucht was verfügbar war. Da ich zwischenzeitlich immer mal am Flughafen war, war klar, dass das nicht so einfach werden würde. Alice z.B. versuchte bereits seit Tagen Flüge nach Italien zu buchen. Ohne Erfolg. Airlineschalter in Punta Arenas geschlossen, Internetseiten und Telefondienste völlig überlastet. Hatte sie einen Flug, wurde der innerhalb weniger Stunden, manchmal sogar Minuten, wieder storniert. Auch andere Reisende die ich am Flughafen traf, berichteten das Gleiche. Ein Pärchen aus Brandenburg hatten Anja und ich letzte Woche getroffen. Die saßen nach 5 Tagen immernoch am Flughafen und das nicht allein... Nachdem für den Toyota alles vorbereitet war, hat JD mich zum Flughafen gefahren und dann ging es los... 36 Stunden von Flieger zu Flieger, von Schalter zu Schalter, von Gepäckband zu Gepäckband und von Sicherheitskontrolle zu Sicherheitskontrolle... Alles in Allem ging die ganze Rückkehr extrem schnell und ohne Probleme. Das aber auch nur, weil meine Familie im Hintergrund alle Fäden gezogen hat. Ich bin nur nach Anweisung von Flug zu Flug und schließlich in den Mietwagen. Alles war vorbereitet. Besten Dank dafür!! Ich bin jetzt also wieder zu Hause. Mein lange und mit harter Arbeit vorbereitetes Sabbatjahr ist nach 8 Monaten beendet. Bereits nach einem Tag in der Heimat, kombiniert mit dem Stress der vergangenen Woche, habe ich das Gefühl, dass ich nie weg war. Es ist zum Kotzen...!!! Was auch zum Kotzen ist, ist wie die Leute hier mit der Situation umgehen. Da kommt man nach Deutschland und wähnt sich in einem sicheren Land und dann scheint es auf der Straße niemanden zu kümmern. Bei einem langen einsamen Spaziergang gestern, war ich der Einzige mit einem Schutz vor dem Mund. Die Leute haben mich angeguckt, als wäre ich vom Mond... Im Supermarkt hatte ebenfalls keiner einen Mundschutz oder Handschuhe. Weder die VerkäuferInnen noch die Security noch die Kunden. Und wieder habe ich komische Blicke mit meinem Tuch vor dem Mund geerntet. Hier MV scheint die Ernsthaftigkeit der Lage noch nicht angekommen zu sein... Und in Chile trägt fast jeder Maske und Handschuhe, bei Banken und Behörden wird jeweils nur eine Person in das Gebäude gelassen, der Rest wartet mit entsprechendem Abstand draußen. In Supermärkten ist das Personal geschützt und die Anzahl an Personen im Markt wird reguliert. Und die sind Europa noch zwei Wochen hinterher... Was ist mit den Deutschen los? Haben die alle keinen Verstand? Wenn einem die Lage selbst egal ist, dann sollte man doch wenigstens auf andere Rücksicht nehmen. Vielleicht wäre ich doch besser in Chile geblieben... Die Welt geht unter...... zumindest scheint es so. Als Schwesterchen am 10.03. hier in Punta Arenas gelandet ist, war nicht abzusehen, vielleicht aber zu ahnen, was so alles auf uns bzw. sie zukommen wird...
Wir sind am ersten Tag gemeinsam Richtung PN Torres del Paine aufgebrochen. Das Wetter stürmisch und regnerisch, Patagonien at its best. Die kommenden Tage hatten wir mit dem Wetter im Park Glück. So konnten wir ungetrübt vier Tage im völlig überteuerten Park verbringen. Aber über die absolute Verkommerzialisierung und Privatisierung der chilenischen Natur habe ich mich ja bereits ausgelassen... Viele kleinere Wanderungen, eine große Wanderung (die trotz Nebensaison einem Almauf- bzw. Almabtrieb glich), Pumasichtung, wahnsinnige Sonnenaufgänge, fantastische Farben, schöne Panoramen, beste Stellplätze usw. usf. Da der Toyota nur ein Bett hat, durfte hier natürlich meine Schwester schlafen. Ich habe mich mit all meinen Schlafsäcken und Thermowäsche ins Zelt verzogen. Das war alles andere als lustig. Mein alter Körper mochte das gar nicht. Verkrampftes episodenhaftes Schlafen, Kälte, am Zelt zerrender Wind. Respekt an all diejenigen, die fulltime mit dem Zelt unterwegs sind! Schon im Park hatten wir von anderen Touristen ein paar Informationen zur Lage bekommen. Als wir dann aber schließlich aus dem Park raus waren und in Puerto Natales wieder brauchbares Internet hatten, wurde deutlich, dass ab jetzt alles anders wird. Anjas Flüge zurück nach Europa waren alle storniert. Zahlreiche Neubuchungen wurden innerhalb weniger Stunden ebenfalls storniert. Also absolut unklar, ob sie so ohne Weiteres wieder zurück nach Hause kommt. Diese große dunkle Wolke schwebte über den letzten gemeinsamen Tagen. Wir haben versucht uns die Laune nicht verderben zu lassen und die Gegend südlich von Punta Arenas erkundet. Wenige Stunden vor ihrem Abflug war nur noch der Flug nach Santiago sicher. Alles Weitere weiterhin unklar. In Punta Arenas war mittlerweile bis auf Supermärkte alles geschlossen, die Straßen leer. Am Flughafen war alles voll mit verzweifelten Touristen. Jeder versucht irgendwie nach Hause zu kommen. Die angespannte Stimmung war allgegenwärtig. Eine ganz eigenartige Atmosphäre... Naja, um es kurz zu machen: Schwesterchen ist bereits wieder zu Hause und darf sich einer 14-tägigen Quarantäne ohne ihren Mann (ohne dessen Hilfe sie wohl noch in Santiago sitzen würde) im eigenen Haus erfreuen... Genieße diese Zeit!! #zwinkersmiley Tja, und nun zu mir. Ich stand allein am Flughafen und fühlte mich wie der Kapitän eines sinkenden Schiffs, das alle zu verlassen versuchen. Also emotional am Boden ab in den Supermarkt, die Stimmung heben, dann bekanntlich macht Konsum ja glücklich... Es wurden im Abstand von ca. 5 Minuten immer nur 20 Leute reingelassen. Die meisten Körbe zum Überlaufen voll. Ich habe deutlich spüren und sehen können, wie die Einheimischen mir und anderen europäische Phänotypen aus dem Weg gingen oder uns strafend ansahen. Immerhin sind wir als Touristen diejenigen, die das Virus hier einschleppen könnten. Es war und ist ein scheixx Gefühl. Kaum auszudenken, wie das damals für die Juden oder die Schwarzen gewesen sein muss (oder leider heute noch ist). Um auch das kurz zu machen, ich will niemanden langweilen: Ich habe genug Lebensmittel für mindestens einen Monat, Gas zum Kochen für zwei Monate, Diesel für 1500km und viele Stunden Standheizung (der Winter kommt), Solarenergie und, wenn ich einen sauberen Bach finde, unbegrenzt Wasser. Ausserdem scheinen die Leute hier in Patagonien sehr ruhig zu sein, was mir heute nochmal bestätigt wurde. Die meisten Touris sind weg, die Saisonarbeiter sind bereits zu ihren Familien geflogen. Es bleiben also nur wenige Menschen in diesem Teil Patagoniens, es sollte also ansteckungsmäßig recht sicher sein. Aber was machen? Die Grenzen sind alle dicht, ich komme mit dem Auto also aus diesem Teil Chiles nicht mehr weg. Wie lange das so bleiben wird ist unklar, immerhin geht es hier ja erst los mit der Infektionswelle... Ich habe bisher vier erwägenswerte Optionen: Erstens: Abwarten und hoffen, dass in ein bis zwei Monaten die Grenzen zu Argentinien und Uruguay wieder öffnen. Dann ab nach Montevideo (je nach Lage mehr oder weniger entspannt) und den Wagen verschiffen und hinterherfliegen. Zweitens: Den Wagen hier in Punta Arenas einlagern und nach Deutschland fliegen. Später wiederkommen und den Wagen nachholen oder evtl. weiterreisen. Drittens: Den Wagen sofort von Punta Arenas verschiffen und den Rückflug nach Deutschland antreten, solange noch Flüge gehen. Viertens: Abwarten und bei Verschlechterung der Situation verschiffen und den Heimflug antreten. Leider haben alle Möglichkeiten ihre Schwächen und viele Fragezeichen... Ich weiß nicht, ob Abwarten angesichts der unklaren Lage eine Option sein sollte. Allerdings ist der Gedanke an stundenlanges Anstehen und Sitzen im Flughafen bzw. Flugzeug, mit hunderten Menschen auf engstem Raum, auch nicht gerade verlockend... Und wenn die Welt zu Ende gehen sollte, warum dann nicht gleich vom Ende der Welt zusehen, wenn man schon mal da ist. Es sei denn man wird vorher von den Einheimischen als letzter verbleibender Europäer gelyncht... #sabaticalfuckup Zeit totschlagen...... bis meine Schwester endlich in Punta Arenas landet. Das ist momentan mein täglich Geschäft. Aber es gibt Schlimmeres, als dies in Tierra del Fuego zu tun.
Nachdem ich endlich aus Ushuaia raus war, bin ich entspannt die Ruta 3 Richtung Rio Grande gefahren. Unterwegs kleine Abstecher zur Laguna Margerita und zum Cabo San Pablo. Dort gab es mal wieder ein verlassenes Campamento. Mittlerweile das Dritte hier in der Gegend. Wofür die mal genutzt wurden und warum die alle verlassen sind, muss ich noch rausfinden. Am Strand dort liegt ein Wrack. Die "Desdemona", ein 1954 in Hamburg gebauter Frachter, der 1985 wegen Leck dort notgestrandet wurde. Ladung waren 20.000 Säcke Zement. Ausgehend von Rio Grande bin ich dann quer nach Westen zum Grenzübergang Paso Bellavista. Am Abend vor der Querung habe ich alle verbleibenden frischen Lebensmittel eingekocht und im Kühlschrank verstaut. Wieder auf chilenischer Seite bin ich in den Karikunka NP und habe dort eine kleine Wanderung gemacht. Typisch für Chile, muss man wieder überall Eintritt zahlen, wenn man sich denn an die Regeln hält... Der NP wird von einer privaten amerikanischen Organisation betrieben. Die Ruta Y-85 auf der ich war, befindet sich noch im Bau. Wenn fertig, soll sie den NP Yendegaia erreichbar machen. Bisher hat dieser nämlich nur seinen Namen, sonst nichts. Der Weg bis zur aktuellen Position der Baustelle lohnt sich wirklich! Kaum Menschen, schöne Landschaften. Entlang der Straße immer wieder riesige angestaute Wasserflächen, Dämme und Biberburgen. Die Biber wurden vor etlichen Jahren mal aus Kanada hier, genauer gesagt auf argentinischer Seite, angesiedelt. Man wollte sie wegen der Felle züchten. Irgendwann hat man das dann aufgegeben und die Biber verändern seit dem tiefgreifend die Landschaft. V.a. weil auch wichtiges Weideland geflutet wird, sind sie nicht gerade beliebt, um es mal harmlos auszudrücken... Auf argentinischer Seite gab es wohl sogar Überlegungen Bären aus Kanada anzusiedeln. Klar, die fressen dann die ganzen Biber! Da hat mal wieder jemand gepennt im Biounterricht... Auf jeden Fall habe ich auf der Y-85, bei der Suche nach einem Nachtlager, Geeske und Steven getroffen.) Die beiden sind fulltime mit einem 78er HZJ seit 2016 unterwegs. Eine beeindruckende Route von Europa über Russland und die Mongolei nach Süd Korea. Von dort nach Japan und später nach Australien. Von dort dann nach Kambodscha und über Laos nach China. Anschließend wieder über Mongolei und Russland und einige "Stans" zurück nach Europa. Jetzt machen sie Süd- und später Nordamerika unsicher. Irgendwann bin ich an einem Vormittag in Caleta Maria angekommen, Sackgasse. Es besteht aus einem Haus am Ende eines Fjords. Dort lebt Cesar, der z.Zt. einen Volunteer aus Deutschland hat. Nach Einladung auf einen Kaffee und viel spanischer Unterhaltung, von meiner Seite immer nur Nicken bei 90% sprachlichem Unverständnis, "musste" ich noch zum Mittag bleiben. Es gab frisch gefangenen Fisch, wer würde das ausschlagen... Also wer wirklich mal an der Arsch der Welt will, der sollte unbedingt hier her! Es ist einer der schönsten!!! Mehr tranquilo geht nicht. Auf dem Rückweg nach Norden habe ich noch eine Nacht am Lago Deseado verbracht und endlich mal wieder die heiße Dusche in Betrieb genommen. Ein willkommener Luxus. Am kalten, verregneten nächsten Morgen habe ich Mann gespielt: Holz schlagen, Feuer machen, Brote backen, Pfoten verbrennen und Mate saufen. Was ein Spaß... Jetzt stehe ich seit fast drei Tagen am Lago Blanco. Der Wagen parkt drei Meter vom Ufer unter Bäumen. Die Hängematte baumelt mit Seeblick daneben. In der Luft kreisen Kondore und Papageien fliegen kreischend durch das Geäst. Noch vier Tage bis Schwesters Ankunft. Eigentlich ein perfekter Platz zum Bleiben. Das Einzige was mich heute wegtreibt ist das Verlangen nach frischem Essen. Mittlerweile sechs Tage ohne frisches Obst und Gemüse sind genug. Kein Bock mehr auf Nudeln und Konserven... Cerro Sombrero here I come! |
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April 2024
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